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Neues Jahr, neuer Mensch? Bitte nicht.

Jedes Jahr das gleiche Ritual: Kaum ist der letzte Keks gegessen und der Baum wieder abgeschmückt, tauchen sie überall auf – die guten Vorsätze. Mehr Sport. Weniger Zucker. Mehr Fokus. Mehr Achtsamkeit. Mehr Zeit für mich. Als hätte das neue Jahr einen magischen Reset-Knopf, der alles Vorherige löscht und uns automatisch zu einer besseren Version von uns selbst macht.

Dabei sind Vorsätze selten ein echter Neuanfang. Viel öfter sind sie einfach ein weiterer Baustein in unserem ohnehin schon überfüllten Erwartungskonstrukt. Eine zusätzliche Idee davon, wie wir sein sollten. Genau daraus entsteht sofort wieder Druck. Der Vorsatz „Ich nehme mir mehr Zeit für mich“ klingt auf dem Papier weich und liebevoll. In der Realität wird er jedoch schnell zu einem weiteren belanglosen Punkt auf der To-do-Liste. Zudem entsteht dieses leise schlechte Gewissen, wenn der Plan misslingt. Selbstfürsorge wird zur Leistung. Und Entspannung? Sie steht unter Beobachtung.


Die Zeit zwischen den Jahren ist kein Ladebildschirm

Vielleicht müssen wir uns gar nicht neu erfinden. Vielleicht sind wir nicht kaputt, nicht unfertig, nicht verbesserungsbedürftig – sondern einfach müde vom ständigen Optimieren. Diese kurze Phase zwischen den Jahren birgt etwas Eigenes. Alles läuft langsamer, Termine lösen sich auf, die Welt wirkt für einen Moment weniger fordernd. Viele kommen in diesen Tagen zum ersten Mal seit Wochen oder Monaten wirklich zur Ruhe. Aber trotzdem schleicht sich oft schon das nächste Gefühl ein: Bald geht es wieder los. Arbeit. Alltag. Verpflichtungen. Der Kopf wechselt schon im Voraus in den Planungsmodus, während der Körper eigentlich noch Pause macht.

Warum behandeln wir diese Zeit wie einen Warteraum? Wie einen kurzen Zustand, den wir aushalten dürfen, bevor der bekannte Alltag wieder startet? Vielleicht versteckt sich an dieser Stelle ein Denkfehler: Diese ruhigen Tage sind kein Ausnahmezustand, den wir möglichst schnell vergessen sollten. Sie zeigen uns etwas. Nämlich, wie es sich anfühlt, wenn nicht alles gleichzeitig wichtig ist. Wenn wir nicht ständig reagieren müssen. Wenn der Druck kurz nachlässt.

Anstatt jetzt schon neue Ziele festzuzurren, könnten wir diese Stimmung doch einfach mal ernst nehmen, und die Frage stellen: Wie kann ich dieses Gefühl von Weite, Langsamkeit und innerem Raum mit ins neue Jahr nehmen?

Bild zum Blogpost Neues Jahr, neuer Mensch. Bitte nicht.

Vorsätze sagen oft: Ab jetzt mache ich es besser. Und implizieren damit, dass es bisher nicht gereicht hat. Doch vielleicht geht es gar nicht darum, etwas Neues aufzubauen, sondern etwas Bestehendes nicht sofort wieder zu verlieren. Die Ruhe der Feiertage. Das spätere Aufstehen. Das Gefühl, nicht permanent verfügbar sein zu müssen.

Verstehe mich nicht falsch: Wünsche oder Veränderungen sind selbstverständlich erlaubt. Aber sie müssen keine Pflicht sein. Vor allem sollten sie kein Maßstab sein, an dem wir uns selbst ab Januar messen und beurteilen. Kein zusätzlicher Druck, der uns schon stresst, bevor der Alltag überhaupt wieder richtig begonnen hat.

Forderungen gibt es schon genug

Selbst wenn es ungewöhnlich erscheint, doch dein neues Jahr darf leise starten. Ohne Bangen vor der Arbeit. Ohne große Ansagen an dich selbst. Vielleicht reicht es, den sanften Flow dieser Tage mitzunehmen, in denen du möglicherweise erste Berührungen mit winterlichen Entspannungsreisen oder körperbetonten Entspannungseinheiten gemacht hast, und erfahren hast, was daraus ganz von allein entsteht. 

 

Bei sich anzukommen ist keine Zielsetzung und kein Projekt für das neue Jahr. Es ist eine Basis. Etwas, das der Mensch braucht, um überhaupt funktionieren, fühlen und leben zu können. Am besten kannst du es mit Schlaf, Nahrung oder Luft gleichsetzen. Niemand würde auf die Idee kommen, sich vorzunehmen, ab Januar regelmäßig zu atmen. Aber trotzdem behandeln wir Ruhe oft wie einen Luxus oder eine Belohnung. Genau darin unterscheidet sie sich von Vorsätzen: Sie ist keine Kür, sondern Voraussetzung.


Vielleicht ist der beste Vorsatz am Ende also genau der, keinen zu brauchen. Und stattdessen das ernst zu nehmen, was dich eigentlich trägt.

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